Heiterkeit im Ange­sicht der Vernichtung

Indien bildet einen veritablen Subkontinent in Josef Winklers Œuvre, ein Land der Sehnsucht, einer Faszination, die den Abscheu erst überwinden musste und daher umso intensiver leuchtet. Gebannt schaute er Tag für Tag in Benares den „Domra“ zu, wie er dann 1996 auch seinen Indien-Roman nennen sollte, den berufs­mäßigen Leichen­verbrennern aus der Kaste der Unberührbaren. Seine realitäts­gesättigten Schilderungen sind grausig: die kochenden Eingeweide, die hervor­quellenden Augen, der Gestank verschmorten Fleisches, die sich in den Flammen des Scheiter­haufens aufbäu­menden Glieder – weiland der Höllen-Brueghel hat keinen schaurigeren Kosmos erschaffen als dieses Vanitas-Panorama. Gleichzeitig aber präsentiert Winkler reichlich Komisches, Profanes, das Weiter­strömen der Geschäftigkeiten von Mensch und Tier, er erzeugt etwas wie Heiterkeit im Angesicht der Vernichtung.

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Deswegen eignet dieser Leichenprosa die Aura des Tröstlichen, mit dem Unaus­weichlichen Versöhnenden. Das latei­nische „Mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen“ hat Josef Winkler vom Kopf, der in den Wolken schwebt, auf die Füße gestellt, die auf dem Erd­boden weiter schreiten: „In morte media in vita sumus.“

Ulrich Weinzierl: Laudatio
Josef Winkler, Büchner-Preisträger 2018
Josef Winkler: Ausschnitt aus der Dankrede, gehalten am 1.11.2008
Archiv der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
© Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
Foto: Jürgen Bauer

Schäme dich für nichts

Erst kürzlich äußerte Clemens J. Setz am Ende seiner Büchner-Rede: „In inniger Dankbarkeit denke ich da an Josef Winkler, aus dessen Werk mir immer wieder die heiligen Befreiungsformeln der Literatur entgegenkamen, die sich für mich anhörten wie: Schäme dich nicht. Schäme dich für nichts. Es mag dich zermartern, aber es ist nicht peinlich. Du darfst es sagen.