Heiterkeit im Angesicht der Vernichtung
Indien bildet einen veritablen Subkontinent in Josef Winklers Œuvre, ein Land der Sehnsucht, einer Faszination, die den Abscheu erst überwinden musste und daher umso intensiver leuchtet. Gebannt schaute er Tag für Tag in Benares den „Domra“ zu, wie er dann 1996 auch seinen Indien-Roman nennen sollte, den berufsmäßigen Leichenverbrennern aus der Kaste der Unberührbaren. Seine realitätsgesättigten Schilderungen sind grausig: die kochenden Eingeweide, die hervorquellenden Augen, der Gestank verschmorten Fleisches, die sich in den Flammen des Scheiterhaufens aufbäumenden Glieder – weiland der Höllen-Brueghel hat keinen schaurigeren Kosmos erschaffen als dieses Vanitas-Panorama. Gleichzeitig aber präsentiert Winkler reichlich Komisches, Profanes, das Weiterströmen der Geschäftigkeiten von Mensch und Tier, er erzeugt etwas wie Heiterkeit im Angesicht der Vernichtung.
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Deswegen eignet dieser Leichenprosa die Aura des Tröstlichen, mit dem Unausweichlichen Versöhnenden. Das lateinische „Mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen“ hat Josef Winkler vom Kopf, der in den Wolken schwebt, auf die Füße gestellt, die auf dem Erdboden weiter schreiten: „In morte media in vita sumus.“
Schäme dich für nichts
Erst kürzlich äußerte Clemens J. Setz am Ende seiner Büchner-Rede: „In inniger Dankbarkeit denke ich da an Josef Winkler, aus dessen Werk mir immer wieder die heiligen Befreiungsformeln der Literatur entgegenkamen, die sich für mich anhörten wie: Schäme dich nicht. Schäme dich für nichts. Es mag dich zermartern, aber es ist nicht peinlich. Du darfst es sagen.“