
Foto: Pit Ludwig
Eine delikate Situation
Meine sehr verehrten Damen und Herren – die Situation ist delikat. Wir haben einen Autor zu ehren und zu loben, dem Ehrungen vermutlich nicht allzuviel bedeuten und dem Lob bestenfalls als eine freundlichere Form von Anmaßung erscheinen mag, als Unzuständigkeitsakt einer Gesellschaft, die nicht einmal in ihrem eigenen Bereich, dem des schlichten Funktionierens, Zuständigkeit für sich in Anspruch nehmen kann.

Zwei Jahre nach der Studentenrevolte und dem Höhepunkt der Apo entscheidet sich die Jury für Thomas Bernhard – damit vielleicht auch gegen die weit verbreitete Ansicht über politische und gesellschaftliche „Relevanz“ von Kunst und Literatur?
Den höchsten Platz in der Otto-Berndt-Halle in Darmstadt nahm der Fernsehkameramann ein, der, gleichgültig auf etwas herumkauend, mit Scharfschützenblick sein Gerät dirigierte und das Äußerste aus den Gesichtern für die Optik herauszuholen versuchte. Man müsste die Szenerie einmal aus der Perspektive dieses Statisten beschreiben, um die Absurdität eines solchen Festaktes deutlich zu machen ...

Thomas Bernhard bedankte sich nicht mit beziehungsvollen Worten zu literarischen Zeitfragen [...], sondern mit einem Blumenstrauß von intellektuellen „fleurs du mal“ ...





