Dies schreibt der Akademiepräsident Hanns W. Eppelsheimer am 12. April 1964 in einem vertraulichen Brief – und er fährt fort: „Der Büchnerpreis trägt die Akademie allein nicht.“ Im Frühjahr 1964 beginnt damit der Versuch, der Akademie durch die Einrichtung weiterer Preise „für jene bei uns vernachlässigten Gebiete“ ein stärkeres Gewicht in der literarischen Öffentlichkeit zu verschaffen. Ein „Statut für die Preise neben dem Büchnerpreis“, über das in der Akademie seit Monaten beraten wurde, soll nun im Frühjahr 1965 von den Mitgliedern „gebilligt“ werden. Darin wird noch einmal die herausgehobene Stellung des Büchner-Preises betont, zugleich jedoch das ganze Spektrum der neuen Preise festgehalten:
„Neben dem Büchnerpreis, der nach wie vor als der Große Preis der Akademie zu gelten hat und über dessen Stiftung, Finanzierung und Verleihung ein besonderes Statut besteht, vergibt die Akademie (…) eine Anzahl von Preisen, die sie aus ihrer literaturpolitischen Arbeit entwickelt hat.“ Der Plan, mit dem die Akademie „die literarische Kultur unseres Landes heben“ und die Vielfalt der Gattungen fördern möchte, umfasst – zusätzlich zum Georg-Büchner-Preis – sechs Preise: für Kritik, für wissenschaftliche Prosa, für Essay, für die kleine Form, für Germanistik im Ausland sowie den von ihr bereits seit 1958 vergebenen Übersetzerpreis.
Am 22. April berät das Erweiterte Präsidium noch einmal über einzelne Formulierungen des Statuts, außerdem werden Kandidatinnen und Kandidaten für die Preise erörtert. Vor dem Hintergrund des Versuchs, mit Hilfe eines ausdifferenzierten Programms literarischer Auszeichnungen der „literaturpolitischen Arbeit“ der Akademie größere Wirksamkeit zu verschaffen, werden diese Beratungen künftig zeitaufwendiger. Hinzu kommen nun Abgrenzungsfragen, so wird in den nächsten Jahren immer wieder über die Zuordnung von Kandidaten zum Johann-Heinrich-Merck-Preis oder zum Georg-Büchner-Preis diskutiert werden.
In der neu gestalteten Preispolitik der Akademie bleibt der Georg-Büchner-Preis „der Große Preis der Akademie“. Bereits am 31. März 1965 hatte der Präsident Hanns W. Eppelsheimer über den Generalsekretär die Präsidiumsmitglieder aufgefordert, für dieses Flaggschiff der Akademiepreise „schon einmal einige Anwärter zu erwägen“, für einen ersten Gedankenaustausch. Er selbst denke „für den Büchnerpreis an: Günter Grass (wenn sein Drama ‚Die Plebejer proben den Aufstand‘ nicht enttäuscht)“. Im Protokoll nach der Sitzung vom 22. April heißt es dann über die Ergebnisse des ›ersten Gedankenaustauschs‹: „Unverbindlich werden genannt: Ernst Jünger, Günter Grass, Peter Weiss.“ Verabredet wird anschließend: „Über den Kandidaten für den Büchner-Preis soll in einer eigenen Sitzung des Präsidiums diskutiert werden“.
Kurz vor dieser entscheidenden Sitzung am 25. Mai schaltet sich das Präsidiumsmitglied Gerhart Pohl mit einem Brief an den Präsidenten Eppelsheimer und die „Kollegen des Präsidiums“ in die bereits beginnenden Debatten ein. Er bringt als Kandidaten Wolfgang Hildesheimer ins Spiel, dessen Tynset eine überzeugende Leistung sei, auch wenn sie mit Büchner „nicht viel zu tun« habe. »Verstiegenheiten dieser Art gehören zu unserem makabren Zeitbild.“ Sein Kandidat bleibe jedoch Wolfdietrich Schnurre, „ein ‚Engagé‘ aus Leidenschaft, der brillant zu erzählen vermag.“ Peter Weiss sei für ihn „unmöglich“, „sein Auftritt in Weimar wider aller unser Existenz in Freiheit hat ihn disqualifiziert“. Auch Günter Grass scheide für ihn noch aus, zunächst müsse sein „‚Vorschußlorbeer-geschmücktes‘ Theaterstück“ sichtbar geworden sein.
In den Beratungen der Präsidiums- und Jurysitzung am 25. Mai begegnen uns einige der von Gerhart Pohl vorgetragenen Urteile wieder. Auch wenn der Verlauf nicht im Detail festgehalten wurde, vermittelt das Protokoll der Sitzung doch einen guten Eindruck, wie das Gremium lange über die möglichen Kandidaten gestritten hat. Erst nach einer Unterbrechung und dem missglückten Versuch, das angekündigte Stück von Günter Grass Die Plebejer proben den Aufstand vom Verlag zur Einsicht zu erhalten, kommt die Jury in weiteren, heftigen Diskussionen zu ihrer Entscheidung für Günter Grass.
Am 14. Juni informiert der Akademiepräsident Hanns W. Eppelsheimer mit einem Brief den gewählten Preisträger Günter Grass über die Entscheidung der Jury. Der Brief enthält auch die Ankündigung, dass der Büchner-Preisträger in drei Wochen öffentlich bekanntgemacht werde. Am 23. Juli erinnert Günter Grass den Präsidenten an diese Zusage. Inzwischen war Grass zwischen „Passau und Kiel unterwegs. Gegenden abklappern. Auf Stimmenfang“, wie er rückblickend in Mein Jahrhundert über seine Auftritte zur Unterstützung der „Es-Pe-De“ im Bundestagswahlkampf schreibt, „Kilometer fressen“, durch „langangestauten Mief“, immer begleitet vom „epidemische(n) Zischen einer Rechtsaußenclique“. Seine Mahnung an die säumige Akademie verdeutlicht, wie sehr Grass „gerade in diesen Wochen“ den Preis auch als ein politisches Zeichen verstehen und nutzen wollte.
Schließlich, am 2. August, veröffentlicht die Akademie ihre Entscheidung, dass Günter Grass den Büchner-Preis des Jahres 1965 erhält. Sogleich setzen die ersten, teilweise heftigen Reaktionen ein. Selbst innerhalb der Redaktionen sind die Meinungen oft geteilt. So heißt es im „Darmstädter Tagblatt“ am 3. August: „Grass, ein umstrittener Romancier, hat sich in letzter Zeit als ‚unabhängiger Literat‘, wie er selbst sagte, in Wahlkampfreden für die SPD eingesetzt“. Eine Woche später, am 9. August, erscheint dann im „Tagblatt“ ein weiterer Artikel, der sich ausführlicher mit der Entscheidung befasst und feststellt: „Die Darmstädter Akademie hat sich über alle möglichen Einwände kühn hinweggesetzt. Mag man zu ihrer Entscheidung stehen wie man will: sie offenbart gerade in diesen Tagen, da die zeitgenössische Literatur von höchster Stelle einen ‚Verweis‘ erhielt, ein gutes Stück jener Freiheit, die wir alle meinen.“
Der in dem Artikel angesprochene „Verweis“ bezieht sich auf Äußerungen des amtierenden und sich wieder zur Wahl stellenden Bundeskanzlers Ludwig Erhard, der empört auf das Engagement bekannter Autoren für die SPD reagiert hatte. „Ich muß diese Dichter nennen, was sie sind: Banausen und Nichtskönner, die über Dinge urteilen, von denen sie einfach nichts verstehen...“, so Ludwig Erhard. Am 9. Juli nannte der Kanzler dann Rolf Hochhuth einen Pinscher: „Da hört bei mir der Dichter auf, und es fängt der ganz kleine Pinscher an, der in dümmster Weise kläfft.“ Der zu „diesen Dichtern“ gezählte Günter Grass antwortete auf diese Angriffe mit einer „Pinscher-Rede“ im Rahmen seiner Wahlkampftour für die SPD.
In diese aufgeheizte Atmosphäre gerät die Meldung der Akademie, Günter Grass den Büchner-Preis zu verleihen. Neben den kritischen oder zustimmenden Reaktionen in der Presse wird die Akademie auch direkt angesprochen. Drei Briefe, die in diesen Tagen eintreffen, verdeutlichen noch einmal die sehr unterschiedlichen und teilweise heftigen Reaktionen, die diese Preisentscheidung der Akademie in der deutschen Öffentlichkeit des Jahres 1965 hervorrief.
Das erste und zustimmende Schreiben stammt vom hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn, er dankt der Akademie für ihre Entscheidung, die Maßstäbe setze für das so wichtige Verhältnis von Literatur und Gesellschaft. Ganz anders fällt die Reaktion des Akademiemitglieds Horst Lange aus: „In die tiefste Bestürzung versetzt durch die Verleihung des BÜCHNER-PREISES an Günter Grass, erkläre ich hiermit meinen Austritt aus ihrer Institution“. Am 10. August schließlich schreibt ein empörter Bürger an die Akademie von der Auszeichnung eines „Banausen“, der „mit der Sprache Schindluder treibt“, durch einen „Club für Sprache und Dichtung“.
In den Wochen bis zur Preisverleihung nehmen die Angriffe zu. Neben ausführlichere Briefe, die sich um eine argumentative Absicherung ihrer Verurteilung der Preisentscheidung bemühen, treten nun auch unterschiedliche Variationen der Anklage und Beschimpfung des „Blechtrommlers“ „mit der schmutzigen Phantasie“ und der für diese Wahl verantwortlichen Akademie. Äußerungen wie „Man fasst sich an den Kopf“ angesichts dieser Entscheidung, es sei ein „Fehlentschluss der Akademie“, die Werke seien „Werkzeug abartiger Neigungen“, „unwürdig eines deutschen Dichters“, gehören noch zu den moderaten Stimmen.
Dabei waren diese Angriffe nicht neu, sie begleiteten Günter Grass seit dem großen Erfolg der 1959 erschienenen Blechtrommel. Für manche war Grass seitdem zu einer Symbolfigur zersetzender, obszöner Literatur geworden. Nach dem Erscheinen von Katz und Maus, des zweiten Bandes seiner Danziger Trilogie, folgten erneut empörte Reaktionen. Auch ein Beamter des Hessischen Ministeriums für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen fühlte sich bemüßigt, ohne Wissen seines Ministers, im September 1962 den Antrag auf Aufnahme des Buches in die Liste jugendgefährdender Schriften zu stellen. Im nun einsetzenden Prüfverfahren traten als Gutachter – und Verteidiger von Günter Grass – die Akademiemitglieder Kasimir Edschmid, Walter Jens, Fritz Martini und der künftige Büchner-Preisträger des Jahres 1963 Hans Magnus Enzensberger auf. Sie beriefen sich auf den „Kunstvorbehalt“ und betonten, dass die inkriminierten Stellen eine klare erzählerische Funktion hätten. Was hier, aus heutiger Perspektive, wie eine schlechte komödiantische Posse anmutet, das ruhte auf einem in konservativen Kreisen verbreiteten Empörungsaffekt – wie auch der folgende kleine Ausschnitt aus einem Gespräch im Jahr 1962 zeigt.
Eine wichtige Rolle in den Auseinandersetzungen im Umfeld des Büchner-Preises 1965 nimmt die Junge Union ein, die sich mit einem am 24. September veröffentlichten Aufruf gegen die bevorstehende Preisverleihung in die Debatten einschaltet: „Die Aufmerksamkeit, die Grass in der deutschen Öffentlichkeit erregt hat, ist vorwiegend auf seine blasphemischen und pornographischen Entgleisungen zurückzuführen. Grass hat den Beweis dafür noch zu erbringen, daß seine Erzeugnisse wirklich künstlerischen Wert besitzen und er nicht darauf angewiesen ist, durch Appelle an niedrige Instinkte Beifall zu haschen.“
Georg Hensel, Theaterkritiker und Leiter des Feuilletons beim „Darmstädter Echo“, stellt in einem ausführlichen Beitrag diesen Protestaufruf in die Reihe „versteckter und offener Angriffe gegen den Georg-Büchner-Preisträger 1965“. Das „Blechgetrommel um Günter Grass“, wie Hensel die Lage vor der Preisverleihung charakterisiert, wird durch den Aufruf der Jungen Union in der lokalen Öffentlichkeit noch angestachelt. Der Konflikt erreicht die Lokalpolitik, schlägt sich in der Darmstädter Presse nieder, und er verunsichert die Organisatoren der Preisverleihung: Müssen besondere Vorkehrungen getroffen werden, um den geordneten Ablauf des Nachmittags zu sichern?
Unter der Überschrift „Blechtrommel verbrannt“ berichtet das Darmstädter Echo am 6. Oktober, Mitglieder einer evangelischen Jugendgruppe hätten in Düsseldorf „schmutzige und unförderliche Bücher“ auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Neben Romanheftchen oder Kinoprogrammen warfen die Jugendlichen auch Albert Camus Der Fall, Françoise Sagans In einem Monat, in einem Jahr, Vladimir Nabokovs Lolita und auch die Blechtrommel ins Feuer – „Wir wollen uns von der Übermacht solcher Leitbilder befreien. Sie bringen uns von Jesus ab.“
Die Düsseldorfer Bücherverbrennung belegt
ebenso wie der Brandanschlag auf den Berliner Wohnsitz von Günter Grass, wie
sehr die Auseinandersetzung in den vergangenen Wochen eskaliert ist und sich
keineswegs mehr nur auf Verbalattacken beschränkt.
In einem Rundfunkgespräch in
der Sendung „Zeitfunk“ am 9. Oktober, dem Tag der Preisverleihung, bemüht sich
Grass um einen differenzierenden Blick auf die Angriffe, die ihn in der letzten
Zeit begleitet haben. Der Berliner Brandanschlag und die Bücherverbrennung
seien, so vermute er, von „verführten jungen Leuten“ verübt worden, die er
direkt nicht dafür verantwortlich machen wolle. Wir dürften uns nicht über so
etwas wundern, wenn von höchster Stelle in Deutschland abfällig über
Schriftsteller und Intellektuelle gesprochen werde.
Ganz anders sehe er die
Kritik an seinen Büchern und auch den Widerspruch zu der Entscheidung, ihm den
Büchner-Preis zu verleihen. Solange es sich hier um literarische Gründe
handele, finde er das normal. „Es wäre doch verdächtig und traurig bestellt,
wenn jeder Preis, jede Preisverleihung widerspruchslos über die Bühne gehen
würde.“
Als am 9. Oktober die Gäste zur Preisverleihung vor der Orangerie ankommen, werden sie von gegen Günter Grass protestierenden Mitgliedern der Jungen Union empfangen. Auf Plakaten erneuern sie den Vorwurf, mit dem Preis würden Steuergelder für Pornographie ausgegeben: „Je mehr Schlüpfrigkeit umso mehr Kunst?“. Für das Fernsehen wiederholt ein Vertreter die von der Jungen Union im Namen der „einfachen Leser“ erhobenen Vorwürfe.
Der große Saal der Orangerie ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Interesse ist so groß, dass die Stadt Darmstadt sich entschließen musste, zum ersten Mal bei einer Preisverleihung Eintrittskarten für die 550 Plätze in der Orangerie auszugeben. Fast 200 Anfragen nach Karten hatten abgewiesen werden müssen.
Der Ehrenpräsident Kasimir Edschmid hält die Laudatio auf Günter Grass. „Das Wort Laudatio bedeutet, verehrte Freunde und Gegner, im allgemeinen eine Lobpreisung“ – so beginnt er seine Rede. „Das sollte man einem Manne wie Grass nicht antun, denn es wäre, so absurd es klingen mag, eine Verkleinerung. Man soll nur totalitär von seinem Werk reden, zu dem ja auch seine Fehler oder Irrtümer gehören. Jedoch, nur nebenbei, denn sie gehören zu seinem Œuvre wie seine Vorzüge.“ Dies wolle er gleich am Anfang dem Geehrten gegenüber klarstellen, denn er gehöre zu den „Bewunderern dessen, was die Meute Ihnen gemeinhin vorwirft“. Günter Grass sei „ein Autor ungewohnter und ungewöhnlicher Art“ der, „zumal angesichts des Spektakels“, das er in der Literatur angerichtet habe, zu lächeln wisse über die Motive seiner Widersacher.
Doch es kommt anders, es folgt eine vehemente Abrechnung des Preisträgers mit den Erfahrungen der vergangenen Monate: „Meine Damen und Herren! Wie peinlich. Ich betrüge Sie in aller Öffentlichkeit um den Genuß einer Festrede und verschleppe den profanen Wahlkampf über den Termin hinaus bis in den Windschatten dieser Akademie. Ohne Abstand, ja noch immer betroffen von den ruckenden Zahlen auf dem Fernsehschirm, betrat ich diesen Saal und erteilte dem Zorn das Wort.“ Für Günter Grass gilt es, ohne alle Rücksichten auf die Gepflogenheiten des festlichen Rituals „offenbar zu machen: Die nationale Pleite – das literarische Falschgeld – die sich als Person bestätigt fühlende Hybris – und das Sprüche klopfende Gewissen einer nicht existenten Nation.“
Der von Günter Grass angeschlagene Ton des „schlechten Verlierers“, der sich der Erwartung einer kunstvollen rhetorischen Dankrede verweigert, konfrontiert die Festgemeinde „mit einer politischen Hetzrede übelster Art“, so klagt die Darmstädter CDU. Das Publikum, das Grass selbst als einen Saal „voller Besiegter oder – genauer gesagt – voller Geschlagener“ adressiert, wird von diesem Regelverstoß überrascht. In seinem Nachbericht hält der Generalsekretär Ernst Johann kurz darauf fest, die „aggressive ‚Rede über das Selbstverständliche‘ wurde vom Publikum mit akademischer Ruhe und Respekt vor dem Büchner-Preisträger aufgenommen“ – und beschwichtigt so die Turbulenzen seit der Veröffentlichung der Preisentscheidung bis hin zu den Ereignissen vor, während und nach der Preisverleihung.
Nach der Preisverleihung ebbt die Empörung keineswegs ab. Aus dem Publikum, das am Samstagnachmittag die Rede von Günter Grass verfolgen konnte, ereilt die Akademie der Vorwurf, warum sie nicht die „pausenlosen beleidigenden und ehrverletzenden Bemerkungen“ des Preisträgers unterbrochen und so den „Skandal“ verhindert habe.
Andere Stimmen treiben die Kampagne gegen den „Blechtrommler“ und die „Akademie für pornographische Literatur und Sprache“ fort, bis hin zur offenen Unterstützung der öffentlichen Verbrennung der Bücher von Grass und anderen Autoren durch die evangelische Jugendgruppe in Düsseldorf: „zu anderen Zeiten hätte man den Schreiber gleich mit auf den Scheiterhaufen geworfen“.
Die Kritik am Auftritt von Günter Grass bestimmt auch viele Presseberichte. Die beiden Darmstädter Lokalzeitungen berichten am 11. Oktober über die Tagung, im Mittelpunkt steht dabei die Rede des Büchner-Preisträgers und die dadurch ausgelösten Debatten. Am 13. Oktober legt das „Darmstädter Echo“ unter der Überschrift „Das Treppchen hielt stand – die Stimmung nicht“ mit „Schnurren“ vom Festakt noch einmal nach.
Auch in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Preisrede. Günther Rühle schreibt „anläßlich des Büchnerpreises“ einen ausführlichen Artikel über „Grass und die Wirklichkeit“; auf derselben Seite bringt Karl Korn seine Kritik am „glühenden Furor“, an der „Raserei“ des Geehrten vor.
In der „Süddeutschen Zeitung“ schreibt W. M. Guggenheimer von der „großen Bombe“, die Günter Grass in der Festversammlung platzen ließ, die Zeitung veröffentlicht den Text der Rede im Wortlaut. In der „Züricher Weltwoche“ spricht Jürgen Manthey am 15. Oktober gar von der „rücksichtslosesten Ansprache, die je bei einer Verleihung des Büchner-Preises gehalten wurde“.
Mit diesen Worten verteidigte der Präsident Hanns W. Eppelsheimer in den Auseinandersetzungen den Preisträger Günter Grass und seine Wahl durch die Akademie. Dieser entschiedene Widerspruch gegen die Angriffe verdeutlicht, wie Eppelsheimer das von ihm verfolgte Programm eines neuen literaturpolitischen Engagements der Akademie verstanden hat. Bereits kurz nachdem er 1963 sein Amt angetreten hatte, formulierte er in seiner Laudatio auf den Büchner-Preisträger Hans Magnus Enzensberger den Anspruch, den er an eine Dichterakademie stellte: „daß die Literatur im Aufbau unseres Staats noch immer nicht die aktionsfähige Gestalt gefunden hat, die sie als Mitarbeiterin am öffentlichen Wirken glaubwürdig machte“.
Günter Grass hatte mit seiner „Rede über das Selbstverständliche“ dem „Zorn das Wort“ erteilt, seiner Enttäuschung über das Scheitern seines Engagements im Bundestagswahlkampf. Für ihn war die empörte Abrechnung mit der „nationalen Pleite“ legitimiert durch Georg Büchner: „Sag es! Sei ein schlechter Verlierer!“ Im Herbst 1965 wurde so die Jury des Büchner-Preises in einer für sie gänzlich unerwarteten Heftigkeit damit konfrontiert, dass sie eine mutige Entscheidung getroffen hatte, die den Büchner-Preis nicht nur in literarische Auseinandersetzungen, sondern erneut auch in die politischen Konflikte der Zeit katapultiert hatte. Günter Grass erwies sich am 9. Oktober 1965, wie Volker Neuhaus dies formuliert, als so „unumstritten umstritten“, wie es ihm nur noch drei oder viermal später gelungen sei.