Bei Pastior spielt die Mehr­deutigkeit die Hauptrolle. Er erfindet und findet eine neue Welt aus Sprache – aus seiner Sprache, die für uns eine fremde ist, eine befremd­liche, eine uner­war­tete, eine un­erhörte.
Christina Weiss: Laudatio
Portrait von Oskar Pastior
Oskar Pastior
Foto: Peter Peitsch / peitschphoto.com

Preisträger Oskar Pastior verstarb plötzlich kurz vor der Preisverleihung. Seine Dankrede hatte er längst geschrieben. Michael Krüger, sein Verleger, las den Text am 21. Oktober 2006 vor. Pastior hatte seine Rede mit dem Hinweis „Zu lesen am 21.10.2006“ überschrieben, ohne zu ahnen, welche Bedeutung dies haben wird. In der Audiodatei (Icon auf dem Foto unten) ist das letzte Interview Oskar Pastiors zu hören, kurz vor der Preisverleihung, kurz vor seinem Tod.

Zu lesen am 21.10.2006

Sehr geehrtes Auditorium, meine Damen und Herren,
wäre die Aufgabe eine Rede, wäre über etwas zu reden, das sich nicht unter ein „Reden-über“ zu ducken hätte, sonst wär das rhetorisch und ich ein Redner, und davon ist, ich hoffe Sie sind einverstanden, ja nicht die Rede. Wechselnde Scharniere, wie Sie hören, die den Vorgang erkunden, dem sie auf der Spur sind, bitte, oder wäre ich nun für zwanzig Minuten aber die Büchnerrede, Rede vielleicht aus einer Poesis aus textorganischer Empfind­ung oder, einfacher, aus Hochgestimmtheit, wieder einmal, in der Erkenntnis daß es sich um die Erkenntnisherstellung in einer ganz bestimmten Lesart handelt – vor einer plötzlichen Öffentlichkeit die nun auch mein Kummerkasten sei, privatestes Jetztodernieodernieodernie – da hatte die Platte den Sprung: Beschwerdevermögen! Gelegenheit!

Oskar Pastior: Dankrede
Portrait von Oskar Pastior
Interview mit Oskar Pastior kurz vor seinem Tod, 6.10.2006
Dauer: 00:29:30
© Norddeutscher Rundfunk
Foto: Jürgen Bauer