
„Der einzig ‚Geniale‘ unter den Jungen“
Die Jury der Akademie tritt am 5. Juni 1973 zusammen, um über die Kandidaten für den Büchner-Preis und die beiden anderen im Herbst vergebenen Preise zu beraten. Auf einem „Erinnerungszettel“ sind fünf Namen notiert, die aus früheren Beratungen festgehalten wurden.



Peter Handke ist mit 30 Jahren der bis dahin jüngste Preisträger in der Geschichte des Preises. Kurz nach der Sitzung wird er vom Generalsekretär Ernst Johann benachrichtig, er antwortet am 12. Juni, höflich und erfreut. Wie Handke in einem Gespräch kurz nach der Preisverleihung einbekennt, belastet ihn jedoch die damit einhergehende institutionelle Anerkennung und Vereinnahmung: Letztens habe ich geträumt von diesem Büchner-Preis. Da gibt’s doch immer eine Laudatio. Hab’ ich geträumt, da war einer, der nahm seine Kinder mit aufs Podium während der Laudatio. Die haben ihn dauernd unterbrochen ... Und dann kam mein Bruder, und der sollte eine Laudatio auf mich halten. Und der hat dann nur erzählt, wie er am letzten Abend sich angesoffen hat mit Bier.
Mehr
Und dann habe ich gemerkt, daß ich noch immer keine Rede geschrieben hatte, und da bin ich natürlich aufgewacht. Das ist halt auch ein Beispiel dafür, wie leicht man sich selber fremd wird, wenn man jetzt so institutionalisiert wird. Ich kann das eigentlich nicht akzeptieren.

„Die Geborgenheit unter der Schädeldecke“
Vom 18. bis zum 21. Oktober kommt die Akademie in Darmstadt zu ihrer Herbsttagung zusammen. Es geht um Herrschaft und Gesellschaft in der Sprache. „Dabei erwies sich“, heißt es in der Rheinischen Post am 22. Oktober, „was noch nie bei einer Akademietagung vorgekommen war, daß der Sprengstoff von ihr selbst entzündet wurde: durch Diskussionen über ‚Gutes Deutsch in der Schule‘, über Hochsprache und Sprache der sozialen Umwelt und durch die im Hintergrund gemeinten (oder anvisierten) Hessischen Rahmenrichtlinien zum Deutschunterricht. Was vor Jahren noch die Gemüter erhitzt hätte, Attacken von Peter Handke gegen Nixon“, sei durch das sprach- und schulpolitische Thema überlagert worden.

Der Büchner-Preis beschließt das Programm der Preisverleihung am letzten Tag der Herbsttagung. Rolf Michaelis hält die Laudatio auf Peter Handke. „Handkes Sprache“, so hebt er hervor, „der moralische Ernst, mit dem hier einer sich selbst aussetzt, wäscht uns die Augen, beschert ein nicht immer und nicht allen Lesern willkommenes Geschenk: den ‚fremden Blick‘.“ Genau diese Kraft der Befreiung durch Befremdung ist dann auch das Thema von Peter Handkes Rede, getragen von der Frage: „Wie wird man ein poetischer Mensch?“
Ein Akt der Glaubwürdigkeit – 1999
Am 2. April 1999 erreicht die Akademie ein Anruf aus der Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Peter Handke wolle den Büchner-Preis zurückgeben. Kurz darauf wird dieses Gerücht bestätigt, am 6. April erklärt Peter Handke in dem österreichischen Blatt News seinen Austritt aus der „momentanen katholischen Kirche“, weil diese den „NATO-Krieg gegen Jugoslawien“ gutheiße, und noch eine „andere Kleinigkeit“:

Das Preisgeld für den mir 1973 gegebenen Büchnerpreis gebe ich an die Deutsche Akademie zurück (zum Glück waren’s damals nur 10.000 DM): „symbolisch“, so wie es laut den westlichen Medien das Zuschlagen der NATO im Herzen Belgrads ist, „unvermeidlich“, wie, laut fast aller Welt, der Krieg der „Welt“ gegen Jugoslawien; um meine „Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren“. Einem jeden seine Glaubwürdigkeit.
In der Mitgliederversammlung während der Frühjahrstagung berichtet der Präsident Christian Meier, dass die Akademie über diesen Schritt nicht von Peter Handke erfahren habe, sondern aus der Presse. Darauf setzt eine kontroverse Diskussion unter den Mitgliedern ein, wie sich die Akademie zur Rückgabe des Preisgeldes verhalten solle. Herr Pörksen vermisst in der von der dpa vermeldeten Reaktion des Präsidenten den Respekt gegenüber der Entscheidung Handkes.

© Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung
In der Öffentlichkeit wird der Schritt Peter Handkes als Rückgabe des Büchner-Preises verstanden, auch wenn in seiner Erklärung ausschließlich davon die Rede ist, das Geld der öffentlichen Preisstifter aus Protest zurückzugeben. Der Akademie fällt es schwer, eine klare Haltung zur Protestaktion Peter Handkes zu entwickeln, ihre öffentlichen Reaktionen sind zunächst von Ratlosigkeit geprägt. So kann die tageszeitung auf ihrer Seite „Die Wahrheit“ die Geschehnisse weiterspinnen: Bei der Akademie gingen nunmehr Briefe ein, in denen der Anspruch auf den frei gewordenen Preis angemeldet werde – so dass die Akademie genötigt sei, noch einmal zu betonen, der Büchner-Preis 1973 sei an Peter Handke vergeben worden und daran werde man festhalten.
