Martin Mosebach glaubt an den Roman – den Roman im eigentlichen, französischen oder russischen Sinne, den Roman als die Anmaßung, ein Abbild der Wirklichkeit zu schaffen, der gesamten Wirklichkeit, einer Gesellschaft, einer Epoche, eines Zustands, wie sie sich in einer Stadt, einem Viertel, einem Milieu oder einem Jahr verdichten.

Navid Kermani: Laudatio

Ich beginne mit einer etwas peinlichen Eröffnung. Zwischen vierzehn und achtzehn war ich Napoleon-Verehrer; in früheren Generationen wäre das kein seltenes Phänomen bei still verträumten jungen Männern gewesen, aber in der meinen blieb ich mit solchen Phantasien schon ziemlich allein; ich war an ein keinesfalls zu Unrecht vergessenes Werk geraten, Mereschkowskis Napoleon, in dem die tollsten Hypothesen vorgestellt wurden, etwa dass Bonapartes notorische Fettheit, seine geradezu weiblichen Brüste Beweis dafür seien, dass es sich bei ihm um eine Inkarnation des Gottes Dionysos gehandelt habe. Berauschtheit kenn­zeichnete also meine erste Beschäftigung mit der Geschichte, und die Gewohnheit, mich an historischen Stoffen zu berauschen, hielt auch noch eine Weile an, als ich nach dem großen B des Bonaparte auch A sagte und nach dem Anfang jener Zustände zu fragen begann, die den großen Mann hervorgebracht oder herbeigeschwemmt oder gar ausgespien hatten, wie ich nun allmählich erfuhr.

Martin Mosebach: Dankrede
Martin Mosebach mit Urkunde
Navid Kermani: Ausschnitt aus der Laudatio, gehalten am 27. 10.2007
Archiv der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
Dauer: 00:05:59
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Martin Mosebach, Büchner-Preisträger 2007, im Gespräch mit Navid Kermani
Ausgezeichnet wird ein Erzähler von weltweitem Horizont, der die klassischen und die modernen Traditionen des Romans zu einer kraftvollen neuen Synthese geführt hat, und dem Essayisten von universaler Bildung. [...]
Urkundentext
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